Massenverteilung & Widerstand in Wellen

Moderator: Uwe

Massenverteilung & Widerstand in Wellen

Beitrag: #1Beitragvon Newnip » 27.01.2014, 19:35


Hallo zusammen

Das Thema der Gewichtsverteilung in unseren Booten wurde über die letzten Jahre immer mal wieder erwähnt aber nie richtig besprochen. Immer wieder wurde festgestellt, dass sich Boote in den Wellen feststampfen und nicht gut laufen würden. Nun, dieser Widerstand den unsere Boote in Wellen zusätzlich zum Glattwasser Widerstand zu spüren bekommen nennt sich im Englischen "Added Resistance in Waves", zu Deutsch "zusätzlicher Widerstand in Wellen".

Der Wellenwiderstand ist eine Funktion des Wellenspektrum an einem bestimmten Ort und einigen Boots charakteristiken. Ein Wellenspektrum beschreibt das Wellenbild welches aus verschieden hohen Wellen mit unterschiedlichen Wellenlängen, somit Perioden und somit Frequenzen zusammen gesetzt ist. Das Spektrum sagt nun aus wie oft eine bestimmte Frequenz von Welle auftritt.

Zur Veranschaulichung nehmen wir das Beispiel von Steckborn. Wer den Segelort kennt weiss, dass die Wellen da recht hoch und lang sind. Das leuchted ein weil der Bodensee gross ist und sich Wellen über eine lange Distanz aufbauen können. Diese Wellen habe eine relativ niedrige Frequenz. Unsere Rg 65 werden mehr oder wenige dem Wellenbild folgen können.
Jetzt stellen wir uns einen kleinen Teich vor wo es mit 5 Beaufort hinweg fegt. Die Wellen die sich da ergeben, werden sehr kurz und steil sein, wenn auch weniger hoch als am Bodensee. Diese Wellen haben eine sehr hohe Frequenz. Unsere Boote werden dem Wellenbild nicht folgen können.

Jede Rg65 reagiert anders auf verschiedene Wellenfrequenzen. Und die Eigenschaft welche bestimmt wie die Boote reagieren ist ihr Trägheitsmoment. Andere Eigenschaften wie Rumpfform, Wasserlinien Länge, LWL/BWL oder BWL/T Ratios haben auch ihren Einfluss. Dominant ist aber das Trägheitsmoment und damit die Gewichtsverteilung. Das Trägheitsmoment ist schwierig zum fassen. weshalb es vielleicht einfacher fällt den Trägheitsradius einzuführen:

Gyradius (=Trägheitsradius) ist ein Mass für die Gewichtsverteilung. Ein grosser Gyradius bedeutet, dass das Gewicht über das ganze Boot verteilt ist. Ein Boot bei dem die schweren Teile konzentriert um seinen Schwerpunkt angebracht sind hat einen kleinen Gyradius. Wenn man alle Massen an unseren Booten zu einer zusammenfassen würde dann müsste diese im Abstand des Gyradius vom Schwerpunkt abgebracht sein um Dasselbe Trägheitsmonet zu erlangen. Gyradius ist also eine sehr anschauliche Grösse welche die Gewichtsverteilung beschreibt.

Die vertikale Gewichtsverteilung ist für den Designer schwierig anzupassen. Zu Gunsten eines hohen Aufrichtenden Momentes wird wohl versucht so viel Gewicht wie möglich in das Kielgewicht zu packen. Aber die Längsverteilung des Gewichts kann sehr gut mit der Position von Servos und Akkus beeinflusst werden. Oder auch mit der Länge des Kielgewichts!

Um den "Added Resistance in Waves" zu verringern wollen wir dass unser Boot möglichst wenig auf die vorherrschende Wellenfrequenz reagiert. Mit genügend theoretischem Hintergrund ist es möglich genau auszurechnen welcher Gyradius optimal zu welchem Wellenbild passen würde.

Als Faustregel sind folgende Konstellationen vorteilhaft:
-niedrige Wellenfrequenzen ->kleiner Gyradius -> konzentriertes Gewicht
-hohe Wellenfrequenzen -> grosser Gyradius -> Gewicht verteilt!

Steht eine grosse Regatta an auf die ein Boot besonders optimiert werden soll, kann es also nützlich sein das wahrscheinlichste Wellenbild vor Ort zu kennen und das Wissen in die Konstruktion einfliessen zu lassen.

Das Thema ist nicht einfach und wer sich ein komplettes Bild davon machen will, kommt vermutlich nicht drum herum sich in einige Wissensschftliche Arbeiten einzulesen. Im Englischen Sprachraum wird das Thema unter dem Namen "Seakeeping" behandelt.

Grüsse
Tobi
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Re: Massenverteilung & Widerstand in Wellen

Beitrag: #2Beitragvon VeitHAM » 28.01.2014, 16:30


moin Tobi,

Dank für Deinen einleuchtenden Beitrag. :clap: :clap:
Höre ich da ein wenig Larsson+Eliasson raus? Was Deinen Betrag natürlich in keiner Weise schmälert. :clap:
Ich hätte dazu noch eine Frage.
Gegeben seien zwei weitgehend gleiche Boote mit gleichem Volumen. Das eine hat einen etwas größeren midship-Querschnitt, läuft dafür aber zum Bug und Heck schlanker aus. Das andere Boot hat in der Mitte einen kleineren Querschnitt und ist dafür an den Enden völliger. Oder anders gesagt, einmal ist das Volumen mehr in der Mitte konzentriert, im andern Fall gleichmäßiger über die Länge verteilt.
Das kann ja unabhängig von der Massen-Verteilung im Boot gegeben sein.
Die beiden Boote müßten sich doch auch unterschiedlich in der Welle verhalten?

Gruß Veit

P.S. Ich vermisse Deine alte Signatur ;)
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Re: Massenverteilung & Widerstand in Wellen

Beitrag: #3Beitragvon tomstoms » 28.01.2014, 23:04


Also eins vorweg, ich bin mal so überhaupt nicht in das Thema eingelesen, aber aus dem Bauch gefühl würde ich sagen, müßte zum einen ein Intergral über die Masseverteilung berechnet werden, was dann zum Massenschwerpunkt führt (wurde ja schon erwähnt), genauso wird ein Volumenintegral zusammen mit der Verdrängung ( also der gerade "anliegenden Wasserwelle") zu berechnen sein. Was fehlt dann noch? Viskosität im Zusammenhang mit der Oberfläche. Aufstauenden Wasserwelle vor dem Bug gegen die Geschwindigkeit.

Also alles in allem ein sehr interessantes Thema und ich würde mich freuen, wenn noch ein bisschen Fachliteraturverweise dazu auftauchen würden :-)
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Re: Massenverteilung & Widerstand in Wellen

Beitrag: #4Beitragvon Newnip » 29.01.2014, 20:31


Hallo Zusammen,

Bin froh, dass der Beitrag einigermaßen zu verstehen war. War mir nicht ganz leicht gefallen den Sachverhalt verständlich zu beschreiben;)

"Principles of Yacht Design" (gibt übrigens bald eine neue Version! Grösster Unterschied wird die Beispiel Yacht sein...kommt jetzt mit modernen Anhängen und Gestaltung) präsentiert eine Formel zur Berechnung des "Added Resistance". Diese Formel und ähnliche kommen ursprünglich alle von der DELFT Universität und deren DSYHS (Delft Systematic Yacht Hull Series) welche aus Schlepptank Tests von über 40 Rumpfformen besteht. Diese Formel basiert ausschließlich auf dem Gyradius und dem "Slenderness Ratio" (LWL/Verdängung^(1/3)). Das heisst diese beiden Faktoren sind wohl die wichtigsten.

Neuere Regressionsformeln berücksichtigen aber auch den Cp (Prismatischen Koeffizienten) und LWL/BWL und T/BWL Ratios. Für verschiedene Bedingungen wird es da vermuhtlich verschiedene optima geben...

Wer's genauer wissen will, findet die gewünschte Fachliteratur im Anhang;)...(Englisch!)

Zum ersten mal richtig mit dem Thema befasst habe ich mich übrigens nach der Regatta nahe Leeds im letzten Jahr wo ich keinen stich gehabt habe gegen die schnellsten. Die regatta fand auf einem kleinen Gewässer stat bei sehr starkem wind! Die welle war kurz und steil mit hoher Frequenz...meine boote haben ihr Gewicht immer maximal konzentriert...was sich an dieser Regatta gerächt haben könnte...jedenfalls so sagt es die Theorie...

Meine Signatur...welche meinst du?

Grüsse
Tobi
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Re: Massenverteilung & Widerstand in Wellen

Beitrag: #5Beitragvon tomstoms » 30.01.2014, 09:54


Das PDF liest sich ja ganz OK. Die Idee mit der Übertragungsfunktion ist ja noch sinnvoll. Nur teilweise stellt sich mir die Frage, wieviel Interpretation im Weiteren Verlauf an physikalische Grundideen mit eingeflossen sind wenn experimentelle Ergebnisse einfach nur in ein Polynom gezwengt werden. Was dann ja auch mit der Ratlosigkeit der Autoren im letzten Satz ( "es wird keinen einheitlichen widerstand für alle Schiffe geben") raus zu hören war. Zu mal diese Polynome mit den teilweise nicht weiter darauf eingegangen Koeffizienten dann nur zum interpolieren reichen. Die extrapolation auf Modellbauboot Größe sehe ich mal mehr als kritisch an ;D außerdem bräuchte man erstmal dir spektraldichte für Randbereiche die wohl nie wirklich untersucht worden sind. Da sich ja das Spektrum für lambda/LWL bei LWL=65cm extrem verschiebt im Vergleich zu echten Yachten.
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Re: Massenverteilung & Widerstand in Wellen

Beitrag: #6Beitragvon Newnip » 30.01.2014, 15:15


Hallo tomstom

Die Formeln müssen immer mit bedacht genossen werden. Schlussendlich sind sie empirisch und nur anwendbar solange alle Parameter auch im vorgesehenen Bereich liegen. Ob die Formel auf Modellboote übetragbar ist? Wer weiss...aber alle Daten stammen ursprünglich von Modellboot Tests!

Um ein Modell zu optimieren müsste man einen Schritt weiter in die Theorie, ganz klar! Wellenfrequenzen an Orten wo Regatten stattfinden müssten gemessen werden. Sogenannte RAO (Response Amplitude Operators oder Übertragungsfunktionen) für verschiedene Rumpformen müssten berechnet werden.

Ich postete den DELFT Artikel um zu zeigen was wohl auch für uns das wichtigste Kriterium fürs Verhalten in den Wellen ist: Gyradius und Slenderness Ratio. Wobei der Slenderness Ratio bei den Rg65 wohl nicht allzu gross beeinflusst werden kann, da LWL gegeben ist und das Gewicht wohl noch vielen anderen Design Entscheidungen folgt.

Die Übertragungsfunktion (als Erklärung für weitere Mitleser) kann mann sich als eine "black box" vorstellen das ein Input Signal erhält (hier die Wellen Frequenzen) und diese dann umwandelt in ein output signal (Bewegungen des Boote). Je nach Übertragungsfunktionen werden bestimmte Wellen Frequenzen verstärkt oder abgeschwächt.

Grüsse
Tobi
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Re: Massenverteilung & Widerstand in Wellen

Beitrag: #7Beitragvon tomstoms » 30.01.2014, 17:08


Hi Tobi,

ich seh schon wir sind uns irgendwo einig 8-) Das Geheimniss ist ja, wie so oft im Maschbau die Resonanzfrequemz so zu verschieben, dass sie in einem Bereich liegt der sogut wie nie angeregt wird. Im Endeffekt ist das Stampfen auch nur eine von außen angeregte Schwingung. Dämpfung, Rückwirkende Kräfte und Massenträgheit tuen ihr übriges. Und vieles ist ja ziemlich in Stein gehauen, keiner von uns wird die Schwerkraft ändern können, Verdrägung/ Gewicht bleibt auch immer irgendwo ähnlich, also bleibt eigentlich nur noch das Trägheitsmoment als Stellgröße für Veränderungen.

Aber schon komisch, baue ja gerade mein erste Rg65 und ich habe bestimmt ein halbes Jahr Infos zusammen getragen und nirgendwo stand etwas über das Trägheitsmoment. Eigentlich ja schon fast schade, oder aber es sind die geheimen Infos die die "alten Hasen" nicht verraten wollen ;) Ich wollte das Hobby doch eigentlich haben um den Kopf frei zu bekommen und jetzt muß ich schon wieder die Bücher rauskramen ;-)

Was ist denn bei unseren kleinen Booten eher zu empfehlen? Großes oder kleines Trägheitsmoment gibts da schon Erfahrungen zu?
tomstoms
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Re: Massenverteilung & Widerstand in Wellen

Beitrag: #8Beitragvon Newnip » 30.01.2014, 21:50


hi tomstoms

haha:) Rg65 steht nie still...bis jetzt sind immer wieder neue dinge aufgekommen...

Persönlich dachte ich immer, dass man versuchen sollte die Massen so stark wie möglich um den Kiel kasten herum zu konzentrieren. Wenn du meine Boote anschaust dann ist das auch ziemlich bis ins Extreme so ausgereizt. Beim neusten Modell sitzt der Servo sogar zwischen Mast und Kielvoderkante. Das würde ich bei einem neuen Boot nicht mehr machen und zwar weil ich glaube, dass mich da die Massenverteilung bei Wellen mit hoher Frequenz aus bremsen.

Kann auch gut sein, dass bei Flaute ein konzentriertes Gewicht das wenden erleichtert. Bei viel Wind und Welle aber Masse in Bug und Heck dem Boot beim Wenden hilft!

Das mal so meine persönlichen Erfahrungen...

Tobi
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Re: Massenverteilung & Widerstand in Wellen

Beitrag: #9Beitragvon RainerM » 31.01.2014, 10:18


Hallo Tobi,
Massenträgheit hoch, Gewicht verringern.
Die entsprechende Halterung habe ich dir vor
langer langer Zeit mal gezeigt.
Ruder_Kompakteinheit.jpg

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Re: Massenverteilung & Widerstand in Wellen

Beitrag: #10Beitragvon mc fly » 31.01.2014, 11:16


Moin Rainer,

dann würde ich aber auch gleich eine Anlenkung per Zahnrad umsetzen, so wie Michael das an seiner Unrund
verbaut hat.

Gruß aus Kiel
Kristian
mc fly
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